Donnerstag, Dezember 26

365 Tage Pride

von Elisa Jenewein
Lesedauer: ca 7-8 min

Im Zuge des jährlichen Pride-Monats Juni haben wir mit Frau Mag. Dr.in Christine Baur, LLM über die Sichtbarkeit von Geschlechtern im Recht gesprochen und festgestellt, dass das Recht in diesem Kontext fortschrittlicher ist als die Gesellschaft. Wieso deshalb die Pride ein ganzes Jahr gehen sollte, lest ihr hier.

Recht und Gesellschaft – eine Symbiose, die sich laufend ergänzt, beeinflusst und trotzdem Stabilität bildet. Das Recht gibt einer Gesellschaft Räume vor, in denen Handlungen getätigt werden dürfen. Frau Dr.in Baur gibt zu bedenken, dass „Recht mit seinen rechtlichen Regeln auch Geschlechter produziert.“ Sie verweist hier darauf, dass durch rechtliche Regelungen verschiedene Geschlechterrollen in der Gesellschaft gefestigt werden. Genauer ausführen lässt sich das am Beispiel der Wehrpflicht. Hier gibt es noch eine klare Unterscheidung zwischen rechtlichen Regelungen für das binäre Geschlechtersystem. Männer müssen „nach der Tradition her den Dienst mit der Waffe machen und die Frauen eben, wenn sie es unbedingt wollen, dann dürfen sie halt.“ (Dr.in Baur) Hier sieht man eine klare Unterscheidung der vom Staat Österreich an Personen zugeteilten Aufgaben – basierend auf dem Geschlecht. Zugeschriebene Eigenschaften und Fähigkeiten der Geschlechterrollen werden widergespiegelt. Umso wichtiger ist es, dass das Recht eine diskriminierungsfreie Zone ist, in der das Geschlecht keine markante Rolle spielt. Dies ist nicht nur bei rechtlichen Regelungen an sich wichtig, sondern bereits einen Schritt davor – bei der Verfassung von Recht. Der Blickwinkel der Verfasser_innen hat nämlich großen Einfluss auf das Recht selbst. „Lange Zeit wurde das Recht in Österreich nämlich ausschließlich von Männern gemacht“, verdeutlicht Dr.in Baur. Diese beurteilten rechtliche Bestimmungen über das Leben der Frauen aus ihrer Sicht. Zum Glück hat sich diese Situation mittlerweile geändert. Grund dafür sind einerseits politische Frauenbewegungen, die für Gleichheit kämpften, aber auch internationale Übereinkommen trieben den Fortschritt voran. Beispielsweise trat am 3. September 1981 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (kurz: Frauenkonvention) der UNO in Kraft. Auch die Europäische Union beschreitet mit rechtlichen Regelungen den Weg in Richtung eines diskriminierungsfreien Europas. Im Jahr 2000 wurde zum Beispiel das Antidiskriminierungsrecht bestätigt.

Diskriminierungsfreies Recht 

Das Antidiskriminierungsrecht ist im Gleichbehandlungsgesetz niedergeschrieben und verbietet eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes. Der Begriff des Geschlechts wird hier nicht auf Frauen und Männer eingeschränkt, sondern bezieht jegliche Geschlechtsdefinition mit ein. In diesem Recht geht es nicht nur darum, dass jegliche Personen mit verschiedensten Geschlechteridentifikationen dasselbe Recht zugesprochen bekommen, sondern auch, dass keine Menschen aufgrund ihres Geschlechts schlechter behandelt werden dürfen – egal ob am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit oder in den Medien. Dies ist ein großer Schritt hin zu einem diskriminierungsfreien Europa. Ein weiterer entscheidender Schritt wurde im Jahr 2020 in Österreich vom Verfassungsgerichtshof gemacht: Es wurde das dritte Geschlecht eingeführt. Als Geschlechtseintragung kann man nun nicht mehr nur aus „Frau“ oder „Mann“ wählen, sondern hat zusätzlich die Möglichkeit zwischen „Divers“, „Offen“, „Inter“ und „keinem Eintrag“ zu wählen. Auf die Frage wie diese Geschlechtseinträge im Recht verankert sind, erklärt Dr.in Baur, dass es nur mehr wenige Regelungen gibt, die eine Unterscheidung aufgrund des Geschlechtes machen – z.B. das Pensionsantrittsalter. Es werde noch spannend werden, wie sich solche rechtlichen Regelungen auf die verschiedenen Geschlechtereinträge abstimmen werden, meint Dr.in Baur weiter.

Diskriminierungsfreie Gesellschaft  

Regenbogenfarben, Gender, Sex, Queer, LGBTQ+, Pride,… diese Begriffe umgeben uns vermehrt im Juni, dem Monat, in dem verschiedenste Parteien durch die vermehrte Visualisierung in der Öffentlichkeit auf die Existenz der LGBTQ+ Gemeinde aufmerksam machen wollen. Seit dem Jahr 1996 wird in Wien jährlich die Vienna Pride organisiert, deren „vorrangiges Ziel dabei [ist] es ist, die Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen, intergeschlechtlichen und queeren Menschen zu fördern.“[1] Dadurch soll dieses Thema in die Öffentlichkeit gebracht werden, damit Leute darüber reden und sich Gedanken machen müssen. Bei unserem Interview mit Dr.in Baur hat sich gezeigt, dass sie der Meinung ist, die Sichtbarkeit der LGBTQ+ Gemeinde im Recht sei durchaus vorhanden. Sie erklärt, dass das Recht im Sinne der Gleichberechtigung und Antidiskriminierung schon weiter ist, als die Gesellschaft. Hierfür müsse man sich einfach bei den Beratungsstellen erkundigen. Diese hätten viele Geschichten zu erzählen, in denen sich Personen im Freundes- oder Familienkreis mit ihrer Geschlechteridentität nicht akzeptiert fühlen. Um diese Problematiken zu ändern, ist es wichtig, Maßnahmen zu setzten, die in der Gesellschaft eine Wirkung haben. Als ein Beispiel nennt Dr.in Baur die geschlechtergerechte Sprache: „Wenn wir alle plötzlich eine Sprache sprechen, in der Geschlechter kein bestimmendes Merkmal mehr ist, dann wird sich unser Denken verändern und unser Blick auf die Welt.“.

Um also Diskriminierung aufgrund unserer Geschlechteridentität einzudämmen, muss weniger auf das Recht, sondern mehr auf die gesellschaftliche Aufklärung geachtet werden. Lasst uns also das ganze Jahr über Geschlechterrollen reden, nicht nur im Juni.


[1] https://viennapride.at/ueber-uns/, am 20.Juli.2021

Mag. Dr.in Christine Baur, LL.M ist Lehrbeauftragte am Institut für Arbeits- und Sozialrecht, Wohn- und Immobilienrecht und Rechtsinformatik sowie im Interfaktultären Masterstudium Gender, Kultur und Sozialer Wandel. Anfang der 90er Jahre veranstaltete sie die erste Lehrveranstaltung über Frauen im Recht auf der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck. Diese hatte ungefähr 5 Hörerinnen.

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