von Vanessa Holer
Lesedauer: 5 – 6 min.
Wer kennt sie nicht: Egal, ob auf Ameisenstraßen in der Stadt oder im Wald – immer wieder treffen wir im Alltag auf die kleinen Krabbler. Dabei sind Ameisen nicht nur für den Boden extrem wichtig, sie sorgen auch für die Bestäubung von einer Vielzahl an Arten. Patrick Krapf vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck beschäftigt sich derzeit in drei Projekten mit Ameisen. Der Fokus der Grundlagenforschung liegt auf dem Verhalten und der sozialen Struktur einer heimischen, alpinen Ameise. Doch warum gerade Ameisen?
Bereits im 19. Jahrhundert hat man Ameisen betrunken gemacht
„Ameisen und anderen sozialen Insekten, wie Bienen, wurde eine Zuckerlösung, die mit Alkohol versetzt war, gegeben. Anschließend wurde beobachtet, wie sie reagieren. Anscheinend konnten die betrunkenen Ameisen nicht mehr richtig gehen, taumelten und fielen um. Diese wurden dann von den anderen Ameisen in das Nest getragen“, lacht Patrick. Das hat sich so fest in seinen Kopf eingebrannt, dass er sich diesen Insekten widmen wollte. Dabei ist dieses Verhalten ebenso in der Natur zu beobachten: Obst fällt auf den Boden und fängt an zu verrotten. Durch diesen Verrottungsprozess bildet sich Alkohol. Und Ameisen können, wie der Mensch, Tendenzen hin zum Alkoholismus entwickeln.
Ameisen – aggressiv oder friedlich?
Welchen Einfluss haben ökologische und soziale Faktoren? Was erzeugt Aggressionen zwischen den Ameisen? Inwiefern beeinflusst der Standort, ob zwei Nester friedlich nebeneinander leben? Beeinflusst das Klima die Aggression? Hat das Futter Auswirkungen? Macht es einen Unterschied, wie viele Königinnen pro Nest existieren? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, wurden Populationen der heimischen Ameise im ganzen Alpenraum untersucht. Das Spannende: diese Ameise bildet das gesamte Spektrum an möglichen Kombinationen (friedlich vs. aggressiv; eine Königin vs. mehrere Königinnen) ab. Somit ist sie das ideale Forschungsobjekt.
Ein Gen als Auslöser für Aggression?
Es kann sein, dass der ökologische Faktor nur einen Teil davon widerspiegelt, was sich eigentlich im Inneren der Ameise versteckt. Im zweiten Projekt geht es darum herauszufinden, wie es sich mit der Genomik und der Transkriptomik der Ameise verhält. Ameisen von drei verschiedenen Standorten wurden hierfür gesammelt, einem Aggressionstests unterzogen, eingefroren und später weiterverarbeitet, um die DNA und RNA extrahieren und das Genom und Transkriptom sequenzieren zu können. Ja, Aggressionstests bei Ameisen. Wie sehen diese aus? Zwei Ameisen aus unterschiedlichen Nestern werden in ein kleines Glasrohr, auch bekannt als die ‚Arena‘, gegeben und für drei Minuten gefilmt und beobachtet. Im Anschluss daran wird das Verhalten in einer 10-Stufen-Skala im Hinblick auf Aggression bewertet.
Genomik: ist das Teilgebiet der Genetik, das sich mit der Erforschung des Aufbaus von Genomen und der Wechselwirkungen zwischen Genen befasst.
Transkriptomik: beschäftigt sich mit der Analyse aller zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Gewebe vorhandenen mRNA-Moleküle, dem Transkriptom.
Die Skala reicht von Kooperation in Form von Futteraustausch oder Sich-Gegenseitig-Putzen über einfaches Ignorieren bis hin zum Mandibel-Zeigen (Anm. Makademia: Mundwerkzeuge der Ameise), Beißen oder Töten. Das Besondere hierbei ist, dass es innerhalb der drei Minuten große Variation im Verhalten der Ameisen geben kann. Dass Ameisen die volle Zeit für ihren ‚Kampf‘ verwenden, kommt so gut wie gar nie vor.
Um eine Verfälschung der Ergebnisse vorzubeugen, findet man bei der Auswertung der Filme keinerlei Infos darüber, aus welchen Nestern die Ameisen stammen. Nur eine Nummer hilft bei der späteren Zuordnung. Außerdem treten zur Kontrolle auch Ameisen gegeneinander an, die aus demselben Nest stammen. „Es kann nämlich sein, dass man ungewollt Nester verwechselt“, erklärt Patrick. „Außerdem kann es sein, dass bei der Lagerung der Ameisen im Klimaschrank ein Problem auftritt.“ Dieser Klimaschrank hat eine gewisse Temperatur und simuliert einen bestimmten Tag-Nacht-Rhythmus.
Kleine Ameise – große Persönlichkeit
Bei diesem Projekt geht es um Persönlichkeits- und Verhaltenssyndrome. In den letzten zehn Jahren kam es vermehrt bei Insekten und kleineren wirbellosen Tieren, sogenannten Invertebraten, auf, die Persönlichkeiten einzelner Individuen näher zu erforschen. „Mit Persönlichkeit ist nicht eine so komplexe, wie der Mensch sie besitzt, gemeint. Vielmehr geht es darum, dass unterschiedliche Individuen anders auf gewisse Situationen reagieren. Sprich: Wenn eine Ameise irgendwohin geht, um Nahrung zu finden, ist sie vielleicht wagemutig und startet sofort los oder sie ist schüchterner und traut sich nicht so weit vorzudringen“, stellt der Forscher klar.
„Bei Ameisen ist es einerseits so, dass man auf das Individuum schaut, aber man versucht das auch auf die Kolonie zu übertragen. Vielleicht gibt es auch keinen Kolonie-Effekt sondern man sieht nur Unterschiede zwischen den einzelnen Arbeiterinnen.“
Verhaltenssyndrome sind aber keine Krankheit. Wenn eine Ameise aggressiv ist, dann dringt sie auch schneller in ein Gebiet vor. Bei einer schüchternen Ameise ist das Gegenteil der Fall. Das Problem dabei wird sehr schnell offensichtlich, wenn z.B. ein Fressfeind vorhanden ist. Die aggressive Ameise geht trotzdem in das Gebiet und wird dabei getötet. Das wiederum kann dann Auswirkungen auf die Entwicklung der gesamten Kolonie haben.
Wusstest du, dass… Ameisen auch in Superkolonien vorkommen können? Diese Ameisenkolonien bestehen aus Tausenden bis Hundertausenden Nester mit Millionen an Arbeiterinnen. Pro Nest kommen ca. 1000 Königinnen vor. Eine solche zusammenhängende Superkolonie erstreckt sich entlang der Küste von Italien über Frankreich, Spanien bis nach Portugal.
Faszination: Ameise
Es gibt nicht die EINE Ameise, sondern eine Vielzahl an unterschiedlichen Lebensarten. Es gibt Pilzzüchter, Läusehalter, Sozialparasiten und Räuber, um nur ein paar von ihnen zu nennen. Den Biologen faszinieren Ameisen, weil sie so vielfältig sind. „Außerdem kennt jeder Ameisen, egal ob jung oder alt. Deswegen kann man leicht das Interesse wecken! Vielleicht fangen später einmal Schüler Biologie studieren an, weil sie sich daran erinnern“, hofft Patrick. „Diesen Aspekt, dass man etwas weitergibt, finde ich ganz wichtig.“
Für alle, die Lust auf weitere spannende Ameisen-News bekommen haben, hier der Link zum Ameisen-Blog: https://blog.myrmecologicalnews.org/