Samstag, November 23

Wer füttert die Zellen? Ein Besuch im Labor

von Marina Schmidt
Lesezeit: 4 – 5 min.

Wie sieht die Arbeit in einem Zelllabor eigentlich so aus? Die Pharmazeutin Mag. Christina Kalchschmid ist Teil der Arbeitsgruppe rund um Prof. Gust, die sich mit der Herstellung und Wirkung verschiedener Antitumorsubstanzen beschäftigt. Christina Kalchschmid arbeitet dabei an der Entwicklung von Testsystemen, um die Effekte dieser Substanzen auf zellulärer Ebene nachzuweisen. Kurz erklärt am Beispiel Brustkrebs: Drei Viertel dieser Erkrankungen sind, zumindest zu Beginn, östrogenabhängig. Dieses Hormon wirkt dabei als Trigger und regt das Wachstum der Zellen an. Sollte es nun gelingen, eine Substanz zu entwickeln, die die Wirkung von Östrogen in bestimmten Geweben unterbindet, könnte diese die Basis eines neuen Medikaments werden. Hier wird also Grundlagenforschung betrieben, um genauere Informationen über die Östrogenrezeptoren zu bekommen und dabei Substanzen zu finden, die weiter erforscht und vielleicht in ferner Zukunft zu einem Medikament weiterentwickelt werden können.

Es gibt bereits verschiedene Arzneimittel, die bei Brustkrebs eingesetzt werden und ihre Wirkung über den Östrogenrezeptor ausüben, jedoch stoßen gängige Therapien manchmal an ihre Limits: Auf Tamoxifen, ein häufig eingesetztes Medikament in diesem Bereich, wird anfangs beispielsweise gut angesprochen. Im Verlauf einiger Jahre entwickeln die meisten Menschen allerdings eine Resistenz, sodass die weitere Verabreichung unwirksam wäre. Tamoxifen wird übrigens auch im Leistungssport eingesetzt, um das bei Männern oftmals durch die Einnahme von Anabolika ausgelöste Wachstum der Brustdrüsen zu verhindern und die Testosteronkonzentration zu erhöhen. Daher wird es auch in der Liste der Welt Doping Agentur als verbotene Substanz genannt.


Im Labor: Zum Auftragen der Proben auf die Lochplatten werden Pipetten benutzt.
(c) Christina Kalchschmid

Doch zurück ins Labor: Um sicherzustellen, dass die getesteten Substanzen ihre Effekte auf die Östrogenrezeptoren ausüben und andere Zellen nicht beeinflussen, werden Tests an verschiedenen Zelllinien durchgeführt. Dabei wird zum Beispiel das Wachstumsverhalten der Zellen in Abhängigkeit der zu untersuchenden Substanzen auf verschiedenen Brustkrebs-, Bindegewebs- und Knochenkrebszellen analysiert. So lässt sich nachweisen, ob die Verbindungen nur die gewünschte antiöstrogene Wirkung vermitteln, also nur auf den hormonabhängigen Brustkrebszellen wirken.

Ein Tag (oder eher eine Woche) im Labor

„Die Arbeit mit Zellen ist mit einem Arbeitstag oft nicht getan, sondern es sind meistens Arbeitswochen“, erklärt mir Christina Kalchschmid auf die Frage nach einem typischen Arbeitstag. Da sich Zellexperimente über mehrere Tage aufteilen und die Zellen zwischendurch immer wieder Ruhephasen benötigen, laufen oft mehrere Experimente parallel ab. Und auch wenn Zellen winzig sind, sind sie doch etwas Lebendiges, um das man sich kümmern muss: „Meistens fängt es am Montag damit an, dass ich mir die Zellen im Mikroskop anschaue, wie es ihnen geht.“ Schaut soweit alles gut aus, werden die Zellen geteilt, damit sie nicht zu dicht werden. Dabei wird ein Teil entnommen, der für Experimente verwendet werden kann. Diese Zellen werden in Platten mit kleinen Vertiefungen gegeben und bekommen einen Tag Ruhepause, um dort anzuwachsen.

Anschließend werden sie je nach Experiment weiterbehandelt, zum Beispiel um die Aktivierung von Genen nachzuweisen: Christina Kalchschmid schleust dafür Plasmide in die Zellen ein. Auf diesen ringförmigen DNA-Stücken sind Informationen über den zu untersuchenden Rezeptor gespeichert, der Zelle wird also gewissermaßen der Bauplan für den Rezeptor gegeben.

Definition: Plasmide sind ringförmige DNA-Stücke und fungieren als Bauplan für verschiedenste Proteine.

Anschließend benötigen die Zellen eine Pause von einigen Stunden, um diese Informationen aufzunehmen und mit dem „Bauen“ der Rezeptoren zu beginnen. Ist diese vorbei, werden die entwickelten Substanzen in verschiedenen Konzentrationen auf die Zellen aufgetragen. Die Wirkung erfolgt nicht unmittelbar, sondern braucht auch ihre Zeit.  So hat sich bei den Östrogenrezeptoren zum Beispiel eine Einwirkzeit von 21 Stunden bewährt. Danach werden die Zellen abgestoppt: Die Zellen werden gewaschen und eingefroren, um sämtliche Prozesse anzuhalten. Durch das Einfrieren müssen die Proben nicht sofort nach dem Abstoppen behandelt werden, sondern können eine Zeit lang aufbewahrt werden. Für die Auswertung müssen die zuvor mühsam aufgepäppelten und gepflegten Zellen schließlich lysiert, also zerstört werden.

Sie werden dann mit verschiedenen Reagenzien versetzt, und mit Hilfe der Luziferaseaktivität wird die Hemmung der Genaktivierung der Zellen nachgewiesen. „Luziferase ist der Grund, warum Glühwürmchen leuchten“, erklärt mir Christina Kalchschmid, und führt aus, dass dieses Prinzip dabei hilft, die Zellzahl und die zelluläre Aktivität der Verbindungen zu bestimmen.

Definition:
Luziferasen sind Enzyme und ermöglichen eine Reaktion, die Licht erzeugt.

Christina Kalchschmid betrachtet ,ihre‘ Zellen durch das Mikroskop.
(c) Christina Kalchschmid

Haustiere und Meditation

Der beschriebene Ablauf lässt bereits vermuten, was ein weiteres Nachfragen bestätigt: Die Arbeit mit Zellen bedarf einer genauen Planung und einer flexiblen Zeiteinteilung. So ist es immer wieder auch samstags, sonntags oder an einem Feiertag notwendig, ins Labor zu kommen, oder einen Arbeitstag um 6:00 Uhr zu beginnen, weil ein paar Stunden später Studierende zum Praktikum kommen und die Zellen vorher noch versorgt, geteilt oder abgestoppt werden sollten. Und möchte man nach einem Urlaub schnell wieder weiterarbeiten, ist es ratsam, die Zellen inzwischen nicht einzufrieren, sondern eine Vertretung zu bitten, die Zellen zu füttern und sich um sie zu kümmern. „Es ist eine tolle Arbeit, die Zellen werden so wie Haustiere, die man umsorgt und auf die man schaut. Und auch das Pipettieren ist eigentlich eine total beruhigende und meditative Arbeit, könnte man fast sagen“, findet Christina Kalchschmid unerwartete Vorzüge abseits des wissenschaftlichen Fortschritts in ihrer Arbeit. „Weil man doch mit etwas Lebendigem arbeitet, mit dem man die Mechanismen im Körper simulieren bzw. nachahmen kann.“

Weiterführende Links:

https://www.uibk.ac.at/pharmazie/phchem/staff/christina.kalchschmid.html

https://www.uibk.ac.at/pharmazie/phchem/gruppe-gust.html

Publikationen:

https://www.researchgate.net/publication/339572165_Development_of_bivalent_triarylalkene-_and_cyclofenil-derived_dual_estrogen_receptor_antagonists_and_downregulators

https://www.researchgate.net/publication/269721158_Fluorinated_FeIII_Salophene_Complexes_Optimization_of_Tumor_Cell_Specific_Activity_and_Utilization_of_Fluorine_Labeling_for_in_Vitro_Analysis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert