von Simon Schöpf
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Die Tiroler Tageszeitung veröffentlichte im November 2020 einen Artikel mit dem Titel „Innsbrucker Chemiker entdeckten neues Angriffsziel für HIV-Therapie“. Wir haben uns mit Kathrin Breuker getroffen, um Näheres darüber zu erfahren.
Biomoleküle in der Gasphase
Kathrin Breuker und ihre Gruppe forschen an der Reaktivität, Struktur und Faltung von Biomolekülen und deren Wechselwirkungen in der Gasphase. In manchen Fällen bleiben Wechselwirkungen zwischen z.B. Proteinen, RNA, Liganden (wie Wirkstoffe) oder Metall-Kationen, die in Lösung ausgebildet werden, auch in der Gasphase erhalten, d.h. wenn das Lösungsmittel Wasser entfernt wird. Dadurch können im Massenspektrometer Wechselwirkungen untersucht werden, die mit gängigen Verfahren in Lösung nicht zugänglich sind. Des Weiteren entwickelt ihre Forschungsgruppe neue Methoden, um bestimmte Modifikationen an Biomolekülen zielgenau festzustellen.
RNA – Ribonukleinsäure: Die wesentliche Funktion der RNA in der Zelle ist die Umsetzung von genetischer Information in Proteine. RNA ist hierbei sowohl als Informationsträger beteiligt (mRNA, RNA-Viren), als auch als katalytisches Molekül bei der Translation dieser Information in ein Protein (rRNA, tRNA).
Giovanni Calderisi, ein Alumnus der Breuker-Gruppe, hat in seiner Doktorarbeit z.B. einen Metall-Kationen-Komplex in die Gasphase gebracht und diesen vibratorisch angeregt – quasi heiß gemacht – und dabei eine neuartige Radikal-Reaktion beobachtet. Diese Radikalreaktion spaltet das Rückgrat der RNA in einer bestimmten Art und Weise, was vorher nicht so einfach möglich war.
Gearbeitet wird in der Forschungsgruppe von Kathrin Breuker mit einem speziellen Massenspektrometer (vgl. dazu unseren Artikel: „Ein Rüssel für das Massenspektrometer“). Die Biomoleküle werden dabei mit ESI (Electro Spray Ionisation) in die Gasphase und dann in das Massenspektrometer gebracht. ESI ist eine „sanfte“ Ionisierungsmethode, mit welcher u.a. Biomoleküle aus einer Flüssigkeit in einem elektrischen Feld in die Gasphase gesprüht werden. Dadurch entstehen geladene Ionen der (Bio-)Moleküle oder auch Komplexe, welche dann untersucht werden können. Der Vorteil gegenüber anderen Methoden, wie z.B. einem enzymatischen Verdau in einer Lösung, ist eine umfassende Charakterisierung der Moleküle oder Komplexe.
HI-Virus Proteine
Eine weitere Alumna der Breuker-Gruppe, Eva-Maria Schneeberger, befasste sich mit zwei HIV-Proteinen (Dem rev- und dem tat-Protein). In ihren Experimenten konnte sie feststellen, dass die elektrostatischen Wechselwirkungen zwischen der RNA und den Proteinen in der Gasphase sehr stark sind. Für alle, die seit ihrer Schulzeit nichts mehr von Elektrostatik gehört haben: Damit ist die Anziehung zwischen negativ und positiv geladenen Teilchen und die Abstoßung zwischen gleich geladenen Teilchen gemeint. In der Gasphase können diese Wechselwirkungen sogar stärker als kovalente Bindungen werden. In Experimenten bei höheren Temperaturen (vibratorischer Anregung) konnten deshalb kovalente Bindungen der RNA fragmentiert werden, ohne dass die elektrostatische Bindung zum Protein -wie mit Superkleber festgeklebt – erhalten blieb.
Aus diesen Erkenntnissen entwickelte sich die Idee, die Bindung von Liganden an der RNA näher anzusehen. Wenn das HI-Virus eine menschliche Körperzelle infiziert, „entlädt“ dieses seine genetische Information und missbraucht das Replikationssystem der Wirtszelle. Das tat-Protein hat dabei die Funktion eines „Boosters“, welches die Produktion der viralen Messanger-RNA in der Zelle beschleunigt und dem Virus einen Zeitvorteil bei der Reproduktion ermöglicht. Somit wird es für die Immunzellen des Wirts schwieriger, auf den Virus zu reagieren. Ähnlich verhält es sich mit dem rev-Protein. Man wusste, dass acht bis zehn Proteine an die RNA binden, jedoch nicht wo und in welcher Reihenfolge. Mit der neuen Methode konnte nun festgestellt werden, wo genau und in welcher Reihenfolge die Proteinmoleküle an die RNA binden. Das Problem bei anderen Methoden, wie Kristallographie oder NMR war, dass genau diese Bindungsbereiche zwischen dem Protein und der RNA immer „unscharf“ waren. Diese „Unschärfe“ konnte nun, mit der von der Breuker-Gruppe entwickelten Methode, beseitigt werden. Auf Basis dieser neuen Erkenntnisse können andere Forscher*innen nun versuchen, Medikamente und somit neue HIV-Therapien zu entwickeln. HIV ist damit noch nicht geheilt, aber diese Forschung liefert neue Möglichkeiten.
Massenspektrometer im CCB
Kathrin Breuker studierte Physik und kam im Rahmen ihrer Diplomarbeit zur Forschung mit Massenspektrometrie. Sie spricht voller Enthusiasmus von ihrer damaligen Forschung: „Es ist ein cooles Erlebnis zu sehen, wie Peaks schmäler werden, so wie in der theoretischen Vorhersage!“ Ihr Doktorat beging sie an der ETH in Zürich im Laboratorium für Organische Chemie. Nach einem Zwischenstopp an der Cornell Universität kam sie an die Uni Innsbruck. Besonders die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Massenspektroskopie haben es ihr angetan. Dazu hielt sie fest: „Beobachtungen im Labor, die man sich nicht erklären kann, sind meist Fälle, die mit einem kaputten Gerät oder einem Fehler beim Pipettieren zusammenhängen. Aber dann, in vielleicht 5% der Fälle ist es wirklich was, das reproduzierbar ist und man entdeckt etwas Neues, was richtig spannend ist. Man lernt die Natur besser zu verstehen und dann gibt es ‚kleine Sachen‘ die ganz groß werden – in einem größeren Zusammenhang stehen. Wie die Position des rev-Proteins auf der RNA durch die elektrostatischen Wechselwirkungen. Diese Frage quälte HIV-ForscherInnen schon länger und wir konnten ihnen eine neue Technik bieten.“ Kathrin Breuker schloss das Interview mit dem markanten Satz:
„Es ist ein Riesenpuzzle, mit ganz vielen kleinen Steinen und jeder Stein ist wichtig.“
Link zum Paper:
https://www.nature.com/articles/s41467-020-19144-7
Link zur Breuker-Gruppe
https://www.uibk.ac.at/organic/breuker/
RNA:
https://www.chemie.de/lexikon/Ribonukleins%C3%A4ure.html