Samstag, Dezember 21

„Kein Mensch denkt in quadrierten Abweichungen“

von Sarah Huemer |

Sowohl Laien als auch Finanzprofis definieren Risiko anders als die Wissenschaft. Warum diese Divergenz für das Verhältnis zwischen Bankkunde und Berater problematisch sein kann, verrät Felix Holzmeister von der Universität Innsbruck im Gespräch mit „Makademia“. 

Finanzmärkte. “Wenn man jemanden fragt, was Risiko ist, so bekommt man in den allermeisten Fällen dieselbe Antwort: ‚Die Wahrscheinlichkeit, Geld zu verlieren’“, schildert Felix Holzmeister von der Universität Innsbruck. So auch eine Studie vom Institut für Wirtschaftstheorie, -politik und -geschichte, an der Holzmeister beteiligt war. Sie veranschaulicht, wie das allgemein verbreitete Risikoverständnis stark vom Risikobegriff der Finanzwissenschaft divergiert. Denn wissenschaftlich wird Risiko in Form einer symmetrischen Glockenkurve illustriert. Es umfasst somit sowohl die Wahrscheinlichkeit, verlustreich nach unten, aber auch gewinnbringend nach oben auszuschlagen. Im Gegensatz dazu hat sich bei den Teilnehmern der durchgeführten Studie ein anderes Risikoverständnis erwiesen: In einem Experiment wurde den Teilnehmern eine Verteilung von Aktienrenditen gezeigt – mit der Aufgabe, das Risiko des Finanzprodukts zu bewerten. Ob Finanzprofi oder Laie, ob in den USA, Deutschland, Brasilien oder Japan: Die Studie verdeutlicht, dass bei Finanzprodukten das Risiko vor allem als die Wahrscheinlichkeit, Geld zu verlieren, wahrgenommen wird. Die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen wird hier somit – anders als im akademischen Bereich – nicht als Risiko verstanden. „Die Teilnehmer bewerteten Risiken nicht basierend auf der Standardabweichung. Und das ist auch durchaus plausibel – denn kein Mensch denkt in quadrierten Abweichungen von einem Erwartungswert“, so Holzmeister.

Missverständnis zwischen Bank und Kunde

Inwiefern dieses Auseinanderklaffen rund um die Begrifflichkeit „Risiko“ problematisch sein kann, zeigt sich besonders im Verhältnis von Bankberater und Kunde. „Banken sind durch EU-Regulationen verpflichtet, den Kunden Informationen zu Finanzprodukten vorzulegen und Risiken anhand der Standardabweichung von Renditen zu klassifizieren. Wenn ein Kunde aber unter Risiko einfach etwas anderes versteht, dann hilft auch diese Klassifizierung nichts“, erklärt Holzmeister. 

Ob man deshalb den Begriff „Risiko“ in der Wissenschaft ändern sollte? „Nicht unbedingt“, so Holzmeister. Doch es brauche ein Bewusstsein in der Finanzbranche dafür, dass Risiko unterschiedlich aufgefasst werden könne. Ein Lösungsvorschlag: Die Implementierung von sogenannten Risikotabellen. Diese sollen das Risiko abhängig von unterschiedlichen Auffassungen darlegen. Einfach gesagt: Eine Tabelle, in der das Risiko nebeneinander in Form von Varianz, von Verlustwahrscheinlichkeiten, den erwarteten oder maximalen Verlusten anschaulich dargelegt wird. „Damit würde man Verbrauchern zumindest die Möglichkeit bieten, jene Definition aus der Tabelle auszuwählen, die für ihr Verständnis am meisten Sinn macht. Und so könnte vermieden werden, dass Berater und Kunde einfach aneinander vorbeireden“. 

Diskriminierung bei Bankanfragen

Nicht nur das Verständnis von Risiko, sondern auch die Gleichbehandlung von Akteuren am Finanzmarkt wird an der Universität Innsbruck hinterfragt. Ein Forscherteam, darunter auch Felix Holzmeister, stellte sich dabei die Frage, ob länderspezifische Diskriminierung im Finanzbereich vorherrsche. Zu diesem Zweck wurde an rund 1.200 Banken in neun europäischen Ländern eine simple Investitionsanfrage ausgesandt. Darin wurde um die Herstellung des Kontakts mit einem zuständigen Mitarbeiter gebeten. Das Anschreiben blieb immer ident, lediglich die Namen wurden geändert. „Wir haben immer einen typischen lokalen Namen und dann einen in den Nahen Osten zu verortenden Namen verwendet. Dabei zeigt sich eine ausgeprägte Form von Diskriminierung: Die Wahrscheinlichkeit, eine Antwort zu erhalten, ist für ausländische Absender rund 40% geringer“, schildert Holzmeister. Dieses Resultat veranlasst das Team, nun weitere Studien zur Erforschung dieser gesellschaftlich brisanten Thematik zu planen.

Felix Holzmeister
(c) Universität Innsbruck

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