Alexander Karabatsiakis ©AK
Von Simon Schöpf
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Wir haben Veranstaltungen beim Pint of Science besucht und dort Assistenzprofessor Dr. Alexander Karabatsiakis vom Institut für Psychologie kennengelernt. Karabatsiakis forscht im Fachbereich Klinische Psychologie II mit dem Schwerpunkt Biomolekulare Psychotraumatologie & Stressforschung.
Das Universum und du
Karabatsiakis und sein Team erforschen, wie sich chronischer oder traumatischer Stress auf biologische Prozesse auswirkt und wie diese zur Entwicklung psychischer Erkrankungen führen. Dazu werden unter anderem Biomarker gesucht und identifiziert, welche einerseits Hinweise auf eine Krankheit liefern, andererseits auch bei der Behandlung helfen könnten. Langfristig könnten diese Marker auch im präventiven Kontext eingesetzt werden, um Entstehungsprozesse nach psychischen Belastungen in Richtung Krankheit frühzeitig erkennen zu können.
Zu den biologischen Prozessen, die bei Stresserkrankungen relevant sind, zählt die überproportional starke Produktion von freien Radikalen, dem sogenannten oxidativen Stress. Wenn wir einatmen, nehmen wir den Sauerstoff aus der Umgebungsluft auf und im Körper wird dieser u. a. bei der Verbrennung von Nährstoffen verwendet und Wasser bleibt als Produkt übrig.
Bei diesen biologischen Prozessen können zu viele freie Radikale produziert werden, denen unser Körper mit Antioxidantien entgegenwirkt: Sie neutralisieren die freien Radikale. Durch besonders intensiven, chronischen oder wiederkehrenden Stress kann es passieren, dass der Körper zu wenige Antioxidantien den freien Radikalen entgegenstellen kann. Die freien Radikale schädigen dann die Körperzellen und richten auf molekularer Ebene Chaos an.
Kurzer Ausflug in die Physik: Der zweite Satz der Thermodynamik besagt, dass die Entropie (das Maß der Unordnung) im Universum immer zunimmt. Ein Windstoß kann einen Stoß Papier chaotisch im Raum verteilen, aber kein Windstoß wird Blätter wohlgeordnet vom Boden auf den Tisch bringen.
Unsere Zellen sind hochorganisiert und strukturiert. Wenn die Entropie in Folge einer Belastung durch freie Radikale zunimmt, müssen die Zellen Energie investieren, um der Entropie wieder entgegenzuwirken. Schaffen sie das nicht mehr, dann kommt sie im schlimmsten Fall in die Apoptose und sie schaltet sich selbst aus.
Die freien Radikale sind aber nicht nur bei Stresserkrankungen zu beobachten: Bei der „Free Radical Theory of Aging“ wird davon ausgegangen, dass unser Organismus durch die Anhäufung von Schädigungen durch den Einfluss freier Radikale altert.
Was ist Stress eigentlich?
Es gibt keine allgemein gültige Definition von Stress, aber es kann als ein Ereignis umschrieben werden, welches von außen auf unseren Körper einwirkt und uns zu einer Anpassungsreaktion zwingt. Laut Karabatsiakis kann gesagt werden, dass Stress die Notwendigkeit eines Systems (Organismus, Organ, Gewebe oder Zelle) darstellt, Energie zu verbrauchen.
Nahrungsergänzungsmittel
„Schutz vor Hautalterung und Krankheiten – Diese 15 Lebensmittel stecken voller Antioxidantien“ oder „enthält wertvolle Omega-3-Fettsäuren“. Solche oder ähnliche Formulierungen finden sich vielfach in Werbeschaltungen und Anzeigen. Studien zeigen aber, dass es wenig Beweise gibt für einen tatsächlichen physiologischen Effekt auf unsere Gesundheit. Bei Mangelerscheinungen und ärztlicher Empfehlung sollte auf Nahrungsergänzungsmittel zurückgegriffen werden, jedoch auch nur in einem gewissen Maß:
„Der Mensch denkt gerne in linearen Verhältnissen und wir haben auch häufig die Vorstellung von ‚viel hilft viel‘. Wir müssen bei der menschlichen oder generell bei der biologischen/physiologischen Betrachtung von Gesundheit uns das Modell einer Waage vorstellen – alles ist im Gleichgewicht. Habe ich zu wenig Antioxidantien, habe ich ein Überverhältnis von freien Radikalen, die als Oxidantien wirken. Habe ich aber auch zu viele Antioxidantien, könnte das die Produktion freier Radikale auch negativ beeinflussen und das ist ein sehr essenzieller Prozess“, erklärt uns der Wissenschaftler.
Damit der Sauerstoff für unseren Körper nutzbar wird, muss das Molekül Sauerstoff (O2) mit Hilfe von Enzymen in zwei einzelne Sauerstoffatome getrennt werden, um reaktiv zu werden. Sind jedoch zu viele Antioxidantien zugegen, kann es prinzipiell passieren, dass freie Radikale nicht mehr ausreichend in der Energieproduktion zum Tragen kommen. Studien zeigen zudem, dass bei Krebserkrankungen die Einnahme von Antioxidantien sogar kontraproduktiv sein kann.
Biochemisches „Fingerprinting“ mit Massenspektrometrie
Karabatsiakis identifiziert mit Hilfe der Massenspektrometrie (vergleiche dazu unseren Artikel „Ein Rüssel für das MS“) auch neue Biomarker-Kandidaten. Dabei wird allerdings nicht versucht z. B. eine Depression alleine mit einem bestimmten Biomarker zu identifizieren. Er und sein Team identifizieren so viele Biomarker wie möglich, um diese anschließend mit einer bestimmten Krankheit zu assoziieren.
Dazu werden Blutserum-, Urin- oder Speichelproben genommen und die bioaktiven Moleküle gemessen. Bei einer Blutprobe können das bis zu 36.000 unterschiedliche Moleküle sein, entsprechend groß ist das menschliche Stoffwechselalphabet.
„Dann extrahieren wir aus diesen biochemischen Fingerabdrücken, wenn man so will, Signaturen, die sich mit einem bestimmten Phänotyp assoziieren lassen. Wir machen das für Depressionen: Ja/Nein; Posttraumatische Belastungsstörungen: Ja/Nein; Oder auch wenn man aversiven Kindheitsbelastungen ausgesetzt war. Aber man kann zum Beispiel damit auch untersuchen was ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen, Couch Potatoes und Aktivsportlern, jungen Menschen oder alten Menschen, Menschen vor oder nach Medikation. So hat man einen vollständigen biologischen und biochemischen Einblick in die zugrundeliegenden zellulären Prozesse und auch was im gesamten Körper passiert“, beschreibt der Forscher die Methode.
Des Weiteren ist es möglich auch Haarproben in die Analytik einfließen zu lassen. Im Haar finden sich ca. 3000 unterschiedliche Metabolite. In Kooperation mit der Core facility Proteomics konnten fast 600 unterschiedliche Proteine im Haar definiert werden.
Karabatsiakis dazu: „Als besondere Anekdote gibt es hier noch die Beobachtung, dass jüngere Frauen nach besonderen Lebensereignissen, positiver oder negativer Natur, häufig die Intention verspüren, zum Friseur zu gehen. Wenn wir jetzt sehen, dass in den Haaren so eine komplexe biochemische Signatur drin ist, dann wäre ja die Frage: Kann es sein, dass die Haare auch irgendeine Art biologische Gedächtnisfunktionen haben? Wenn ich positiven oder negativen Stress empfinde, kann der sich irgendwie in den Haaren festsetzen und warum schneidet man das ab?“
Zentral ist dabei, wie der menschliche Körper bioenergetisch funktioniert. Aus der Physik wissen wir, dass Energie die Fähigkeit ist, Arbeit zu verrichten, und Leistung ist definiert als Arbeit pro Zeit. Diese Grundlagen lassen sich auf den Körper übertragen: Wer stark belastet ist, dessen Arbeitsgedächtnis ist weniger funktional und diese Person kann sich Sachen schlechter merken oder kann sich nicht mehr motivieren. Dies zeigt sich auch auf zellulärer Ebene, indem unsere Körperzellen bei Stress scheinbar zu wenig Energie für die normalen Funktionen zur Verfügung hat und mehr in die Reparatur investieren muss.
Seit einigen Jahren ist es technisch möglich, den Energieumsatz von Zellen (bzw. der Mitochondrien – die „Kraftwerke“ unserer Zellen; vergleiche dazu unseren Artikel zur Alterung) zu messen. Es zeigte sich die Korrelation, dass die Immunzellen von Depressiven viel weniger Sauerstoff umsetzten. Je schwerer die Depression, desto weniger Sauerstoff wird in den Zellen genutzt. Letztendlich wird dabei auch weniger Energie produziert. Warum dies geschieht und wie diese Prozesse normalisiert werden können, ist aktueller Gegenstand der Forschung.
Nächste Woche geht es weiter mit Teil 2
Link zur Homepage:
https://www.uibk.ac.at/psychologie/mitarbeiter/karabatsiakis/index.html.de
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