von Vanessa Holer
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Wie funktionieren Demokratien in der Praxis? Wie sieht die Beziehung zwischen jenen Personen aus, die sich normalerweise nicht für Politik interessieren und jenen Menschen, die hauptberuflich in der Politik tätig sind? Professor Marcelo Jenny vom Institut für Politikwissenschaft widmet sich unter anderem diesen Fragestellungen und befasst sich deswegen mit einem der wichtigsten Akte, den die Bevölkerung setzen kann – das Wählen-Gehen. „Es ist nicht selbstverständlich, dass viele Menschen mit unterschiedlichsten Ansprüchen, Wünschen, Vorstellungen und Einstellungen friedlich miteinander leben. Aber es ist mehr als das. Man schafft es, produktiv zusammenzuleben und Leistungen für die einzelnen Bewohner eines Territoriums, aber auch insgesamt für das Kollektiv zu produzieren. Dafür brauchen wir Prozesse, wie z.B. Wahlen“, erläutert Professor Jenny. Zum Thema Wahlen haben wir von Makademia für euch drei Fragen gestellt.
Makademia: Sehen wir uns vergangene Wahlen an. Welcher Aspekt ist für die Wahlentscheidung wichtiger: die Person oder die Partei?
Marcelo Jenny: Eine der Lieblingsthesen der jüngeren Wissenschaft ist, dass die Personen bei Wahlen immer wichtiger werden. Die Persönlichkeit wird der Partei gegenübergestellt. Ich bin da nicht ganz überzeugt und bin der Meinung, dass das eine nur dann glänzen kann, wenn das andere gerade schwächer ausgeprägt ist. Eine andere Beobachtung ist, dass es unterschiedlich gute Kommunikationstalente über die Zeit hinweg gibt. Deswegen ist es nachvollziehbar, dass zu einem Auf und Ab der beiden Faktoren kommt. Außerdem muss das Set der Konkurrenz, der anderen Parteien, ebenfalls beachtet werden. Angenommen es stehen sich zwei starke Kommunikatoren aus unterschiedlichen Parteien gegenüber. Was passiert dann? Sie neutralisieren sich. Was bleibt dann übrig? Dann muss man sich die beiden Parteiprofile ansehen. Diese treten in den Vordergrund und im Wettbewerb können sich die Parteien hier unterscheiden. In einer anderen Phase gibt es einen dominanten Kommunikator und die Konkurrenz tritt in den Schatten. Natürlich sagen dann alle, es ist die Person, die wahlentscheidend war. Mein Lieblingsbeispiel, um zu verdeutlichen, dass es immer ein Mix aus Person und Partei ist, ist Kreisky. Er wirkte in einer Phase, bei der sich alle einig sind, dass die Parteien relevant für die Wahlentscheidung waren. Trotzdem spricht ihm keiner ab, dass er einer der besten Kommunikatoren war, den wir in der österreichischen Politik je hatten.
Makademia: Stichwort: Wahlen in Zeiten von Corona. Fallen Ihnen bei der vergangenen Wien-Wahl Unterschiede zu normalerweise auf?
Marcelo Jenny: Dieses Thema wird uns auch in Zukunft begleiten. Zunächst wurde mit Ausbruch der Covid-Krise die Frage gestellt, ob man Wahlen abhalten soll und unter welchen Bedingungen man sie abhalten kann. Sieht man sich das Verfahren an, ist man zu dem Schluss gekommen, dass das postalische Wählen weiter ausgebaut werden soll. Bezüglich Wählen per Internet sind wir in Österreich immer noch sehr skeptisch.
Wie verhalten sich die politischen Eliten in Krisensituationen?
Da gibt es die These, dass es einen Rally-‘round-the-Flag-Effekt gibt. In einer tiefen Krise kommt die politische Elite zusammen und der klassische Dualismus zwischen Regierung und Opposition wird schwächer. Wenn die politischen Eliten Konsens vorleben, dann strahlt das auf die Bevölkerung aus. Politische Streitthemen, die sonst vorhanden sind, kommen nicht so stark zur Sprache. Das ist tendenziell vorteilhaft für die Regierungsparteien. In einer Krise, in der sich die Opposition auf die Seite der Regierung stellt, sollte die Regierung mehr Zuspruch erhalten. Man klammert sich daran, dass sie hoffentlich das Richtige macht.
Unter Rally-‘round-the-Flag-Effekt versteht man die kurzzeitige, stärkere Unterstützung der Regierung bzw. der politischen Führung durch die Bevölkerung. Dieser Effekt kommt meist in Zeiten von internationalen Krisen oder Kriegen vor und führt dazu, dass die Politik der Regierung weniger kritisiert wird.
Wie lange gibt es die Krise schon? Natürlich hat die Krise Auswirkungen und deshalb kommt es zu verschiedenen Entwicklungen. Erstens findet die politische Opposition ihre Stimme irgendwann wieder und kritisiert die Regierung. Zweitens haben wir die objektiven Auswirkungen der Krise, die für Betroffene sehr schlimm sein können. Drittens wird die Regierung darauf kommen, dass es nicht so einfach ist in einer Krise zu regieren wie in einer Hochkonjunktur. Die Regierung steht vor größeren Herausforderungen und macht möglicherweise häufiger Fehler. Aber in gewisser Weise gilt das auch für die Opposition. Die kann aber diesen Effekt verstärken und sagen: „Seht her, was alles nicht funktioniert!“ Das allein bringt sie aber noch nicht aus der Ecke heraus überzeugend zu demonstrieren, wie sie es besser machen würde.
Ich glaube, dass das Wahlverhalten, abgesehen von der unmittelbaren Krise, nicht so unterschiedlich ist. Beide Seiten werden nach wie vor daran gemessen, dass sie überzeugend demonstrieren können, welche Ergebnisse sie liefern und was das bessere Angebot für die Zukunft ist.
Makademia: Anfang November finden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Was sind Ihre Einschätzungen dazu? Wird Donald Trump wiedergewählt werden?
Marcelo Jenny: Nein, ich glaube nicht, dass Trump wiedergewählt wird. Die Zahlen zeigen es. Die Datenlage – also die Menge und Qualität der Umfragen – ist im Vergleich zur letzten Wahl deutlich besser. Beim letzten Mal wurde ebenso unterschätzt, dass sich viele Menschen nicht für Trump deklarieren wollten. Man muss sich nur den Abstand in den Umfragen zwischen Trump und Biden ansehen. Außerdem wird die Zeit knapp, die Wahlkampfbudgets sind mittlerweile zu unterschiedlich und die Themenlandschaft sieht für Trump sehr schlecht aus. Wie soll das funktionieren? Er bräuchte dafür ein Wunder.
Präsidentschaftswahlkämpfe sind sehr stark personalisiert und auf die zwei Kandidaten zugeschnitten. Bei der letzten Wahl hatten sowohl Donald Trump als auch Hillary Clinton extreme Schwächen im Profil. Sie war Teil der politischen Elite, des politischen Establishments. Trump hat genau hier angesetzt und Clinton hat wenig dagegen gehalten, um diesen Eindruck abzuschwächen. In Wahlkämpfen passieren Fehler. Und die Fehler in ihrem Wahlkampf waren so groß, dass es für Trumps Wahlerfolg gereicht hat, was trotzdem erstaunlich ist.
Wenn man sich Trumps Amtszeit und seinen Wahlkampf bisher anschaut, wird klar, dass er selbst sein größter Gegner ist. Daran würde auch das beste Wahlkampfteam der Welt und das größte Wahlkampfbudget nichts ändern können. Er hält sich nicht an Strategien, hält keine politische Linie durch. Biden ist lange dafür kritisiert worden, dass er im Wahlkampf so still war. Aber wenn ich einen Gegner habe, der sich selbst ins Bein schießt, dann lasse ich ihn machen. Dann soll er sich selbst vorführen und demontieren. Da muss ich nicht viel machen.