Samstag, Dezember 21

Es liegt was in der Luft

von Simon Schöpf
Lesedauer: ca. 6 min.

Sommer 2020, es ist perfektes Wetter und du beschließt eine Wanderung in den Tiroler Bergen anzugehen. Raus aus dem Talkessel, den Smog hinter sich lassen. Rauf in die Höhe, wo die Welt noch in Ordnung und die Luft sauber und rein ist! Meist sind auch Hummeln, Ameisen und Käfer ständige Begleiter beim Wandern. Eine romantische Vorstellung, nicht wahr? Doch wie so viele romantisierte Darstellungen ist auch dies ein trügerisches Bild.

Insektensterben

Wir haben uns mit Veronika Hierlmeier vom Institut für Ökologie der Uni Innsbruck getroffen und sie über ihr INTERREG-Forschungsprojekt „protectAlps“ interviewt. In diesem geht es um die Untersuchung von chemischen Stressoren auf Insekten im Alpenraum. Der Hintergrund für das Projekt ist der allgemeine Rückgang der Insektenarten, welcher flächendeckend zu beobachten ist, auch in den Alpen. Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass „[…] die Welt da noch irgendwie in Ordnung sein muss für die Insekten.“ Neben weiteren Faktoren, wie der Klimaerwärmung, ist es auch möglich, dass chemische Stressoren wie „Persistente Organischen Schadstoffe“ (kurz POPs) einen negativen Einfluss auf Insekten haben können.

DDT: Dichlordiphenyltrichlorethan – Wundermittel und „Teufelszeug“ zugleich

Eine von über 100 verschiedenen Chemikalien (PCBs, Dioxine, Quecksilber usw.), die in langjährigen Messreihen u.a. vom Umweltbundesamt Wien am Hohen Sonnblick in der Luft gefunden werden, ist DDT. DDT wurde bzw. wird immer noch als Insektizid gegen Moskitos, die Malaria übertragen, erfolgreich eingesetzt: „Hätte man DDT vor einigen Jahren nicht in beispielsweise Italien eingesetzt, dann wäre mit dem wärmer werdenen Klima denkbar, dass es auch in Österreich Malariavektoren gäbe. Letztendlich hat DDT dazu beigetragen, dass Europa frei ist von solchen Krankheiten. Ich glaube es ist schwierig, diesen Hintergrund ganz zu vergessen“ hält Veronika Hierlmeier fest. Jedoch ist DDT auch schädlich für Menschen und Tiere. Es wird mit Krebserkrankungen, Missbildungen und Fehlgeburten in Verbindung gebracht. Deswegen ist dessen Einsatz in Österreich seit 1992 verboten. Woher kommt dann das DDT? Über die Nachverfolgung der Luftmassen hat sich gezeigt, dass das DDT aus zwei Hauptquellen stammt: Zum einen wird aktuell eingesetztes DDT aus tropischen Ländern in die Alpen eingetragen. Die WHO hat DDT in den Tropen weiterhin als unersetzbares Mittel zur Malariabekämpfung eingestuft. Zum anderen entweicht gealtertes DDT immer noch aus den ehemaligen Einsatzgebieten in Europa, beispielsweise aus der Poebene. DDT baut sich in der Umwelt so gut wie nicht ab. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Durch die Messungen am Hohen Sonnblick und an der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus an der Zugspitze konnte nachgewiesen werden, dass die Luftkonzentrationen von Schadstoffen wie DDT abnehmen, sobald sie international reguliert werden. So hat die Luftkonzentration von DDT in den letzten 15 Jahren an diesen Alpengipfeln um etwa 50 Prozent abgenommen. Um die globale Dimension der Verbreitung von POPs zu unterstreichen erzählte uns Veronika Hierlmeier eine Anekdote der Umweltforschungsstationen. Dort ist ein Rückgang der POPs zu messen, wenn am anderen Ende der Welt Chemiewerke schließen.

Unser Eindruck: egal ob „Ameisenstaubsauger“, „Hummelflügelvermessung“ oder „Totenkäfer-Fallenleerung“, Insekten können ganz schön faszinierend sein!

Drei Insekten im Mittelpunkt der Forschung

Veronika Hierlmeier und ihr Team untersuchen drei verschiedene Insektenarten auf ca. 2000 Meter Seehöhe: Ameisen, Hummeln und Totengräberkäfer – aufgrund ihrer Ernährung und ihrem Vorkommen in dieser Höhe. Hummeln ernähren sich von Nektar, Ameisen sind Allesfresser und Totengräberkäfer sind Aasfresser. Neben dem „selektiven Handfang“ griffen die Forscherinnen auch zu einer unkonventionellen Sammelmethode: Einem Ameisenstaubsauger. Um die Ameisen einzufangen und die Proben nicht durch die Behälter anderweitig zu belasten (Weichmacher etc.), bauten sie Handstaubsauger um und setzten ein „Fangglas“ vor den Schlauch (vgl. Fotos). Die Probennahme im Feld zog dabei auch neugierige Blicke von Wanderern auf sich. Zurück im Labor wurden die Insekten auf Chemikalien und abweichende Körpermerkmale untersucht. Hierbei kam die Methode der „geometrischen Morphometrie“ zum Einsatz, bei welcher symmetrische Merkmale von z.B. Flügeln miteinander verglichen werden. Gab es Abweichungen von der Symmetrie, bei einer gleichzeitig hohen Konzentration von POPs oder anderen untersuchten Chemikalien, schlossen die Forscherinnen auf den möglichen Zusammenhang zwischen diesen beiden Faktoren. Andere Faktoren wie Genetik (Inzuchtfaktor) wurden bei der Untersuchung ebenfalls einbezogen, konnten aber ausgeschlossen werden. Veronika Hierlmeier teilte uns auch die ersten Ergebnisse des Projekts mit.

Hummeln haben im Vergleich zu Ameisen und Totengräberkäfern eine niedrigere Konzentration an Schadstoffen im Körper, was einerseits auf die niedrigere Trophiestufe, andererseits auf ihre vergleichsweise kurze Lebensdauer zurückgeführt werden kann. Ameisen haben unterschiedlich hohe Quecksilber-Werte, je nachdem, ob sie eher auf Freiflächen oder im Wald leben. Dies könnte auf einen „Auskämmeffekt“ des Waldes zurückzuführen sein. Bei Aaskäfern konnten sogar Stoffe nachgewiesen werden, die bei den anderen Insekten gar nicht detektiert wurden.

Trophiestufe: die Position in der Nahrungskette oder im Nahrungsnetz eines Ökosystems, die durch die Zahl der Energieübertragungsschritte bestimmt wird, um diese Ebene zu erreichen (Energiepyramide). In einer Trophieebene werden alle Organismen mit gleicher Ernährungsweise zusammengefaßt. Jede Art in einem Ökosystem kann einer Trophiestufe zugeordnet werden. Vgl.: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/trophiestufe/67864

Pionierprojekt

Es ist das erste Projekt in dieser Form, welches sich mit der Schadstoffbelastung von Insekten im Alpenraum beschäftigt. Es ist geplant, dieses auch zu wiederholen, um die langfristigen Auswirkungen von Schadstoffen auf Insekten in den Alpen zu erforschen. Hierbei soll auch das „Schwesterprojekt“ „PureAlps“ (siehe Link) erwähnt werden, in welchem die Auswirkungen von Schadstoffen auf Säugetiere und Vögel im Alpenraum untersucht wurde. Veronika Hierlmeier meinte abschließend dazu: „Das wichtigste am Projekt finde ich, dass sichtbar gemacht wird, was sonst unsichtbar ist. Wir sind auf dem Berg unterwegs und denken uns: voll schön! Und (fast) keinem ist eigentlich bewusst, dass es dort Spuren von synthetisierten Chemikalien gibt. Dazu kommt noch die globale Perspektive durch die oftmals weltweite Verbreitung von Schadstoffen.“

Weiterführende Links:

Paper von Veronika Hierlmeier:
https://www.gdch.de/fileadmin/downloads/Netzwerk_und_Strukturen/Fachgruppen/Umweltchemie_OEkotoxikologie/mblatt/2019/heft419_01.pdf

ProtectAlps:
https://www.uibk.ac.at/newsroom/insektenvielfalt-in-den-alpen-erforschen.html.de
https://www.lfu.bayern.de/analytik_stoffe/protectalps/index.htm

Schneefernerhaus und Sonnblick:
https://schneefernerhaus.de/forschung/
https://www.sonnblick.net/de/

pureAlps:
https://www.lfu.bayern.de/analytik_stoffe/purealps/index.htm

Reportage zu DDT:
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/einsatz-von-pestiziden-erst-wundermittel-dann-teufelszeug-1.2969305

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