von Marina Schmidt
Lesezeit: 4-5 Minuten
Ultrakalte Quantengase, Magnetfelder, Kühlstrahlen – Begriffe, die für mich klingen wie aus einem Science Fiction-Roman, sind Marian Kreyers Alltag im Labor. Der Experimentalphysiker arbeitet mit den schon erwähnten ultrakalten Gasen, die aus Ensembles von Atomen bestehen, welche sehr nahe an den absoluten Nullpunkt hinuntergekühlt werden. Durch die extrem niedrigen Temperaturen verändert sich das Verhalten der Atome. Sie verhalten sich nicht mehr wie Teilchen, sondern wie Wellen und es treten neue Zustände und Quanteneffekte auf.
Definition: Unter dem Begriff „absoluter Nullpunkt“ versteht man die tiefstmögliche Temperatur, die nur theoretisch erreicht und nicht unterschritten werden kann. Diese Temperatur wird mit -273,15° Celsius oder 0 Kelvin definiert.
Genau diese sollen durch das Dysprosium-Kalium-Experiment am Institut für Experimentalphysik in Kooperation mit dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW, an dem auch Marian Kreyer beteiligt ist, untersucht und verstanden werden.
Beim Dysprosium-Kalium-Experiment wird, wie der Name bereits verrät, mit den beiden Metallen Dysprosium und Kalium gearbeitet, die aus fermionischen Isotopen/Teilchen bestehen. Da diese Fermionen nie im gleichen Zustand wie andere Teilchen derselben Spezies sein wollen, müssen sie sich in alle vorhandenen Zustände aufteilen, nehmen also z. B. unterschiedliche Geschwindigkeiten, Ausrichtungen oder Orte ein. Viele physikalische Phänomene wie das Verhalten von Elektronen in Metall oder Neutronensterne lassen sich dadurch erklären.
Definition: Es gibt zwei Arten von Teilchen: Fermionen und Bosonen, die sich in ihrem Verhalten in einem System identischer Teilchen unterscheiden. Fermionen wollen nie im gleichen Zustand wie andere, identische Fermionen sein, Bosonen hingegen schon.
Die Grundlagenforschung in Innsbruck hilft, Fermionen und ihre Wechselwirkungen untereinander besser zu verstehen und dadurch auch deren Verhalten in verschiedenen Phänomenen besser einordnen zu können. Im Labor können solche Systeme gezielt hergestellt und manipuliert werden, was sich mit einem richtigen Neutronenstern natürlich schwer bewerkstelligen lässt. Interessant für technologische Anwendungen ist auch das Verhalten von Supraleitern, wo Strom verlustfrei fließen kann.
Aber wie genau funktioniert das Experiment eigentlich? Die bei Raumtemperatur festen Metalle werden dazu auf 1000°C erhitzt, wodurch sie gasförmig werden. Um Umwelteinflüsse ausschließen zu können, wird in Vakuumkammern gearbeitet, in denen die Atome anschließend mit verschiedenen Lasern und Magnetfeldern gekühlt und manipuliert werden, hier kommen also die eingangs erwähnten Kühlstrahlen sowie Verdampfungskühlung zum Einsatz. Diese sollen die Atome auf ca. 100nK, also ein zehnmillionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt, kühlen, das ist tausendmal kälter als die Temperatur der Atome auf Abbildung 2. Wie genau sich die Atome dabei verhalten, wird beobachtet, gemessen und analysiert.
Definition: Beim Verdampfungskühlen werden die heißesten Teilchen aus der Atomwolke entfernt, somit wird diese kälter. Der gleiche Prozess findet auch bei einer Tasse Tee statt, die über den Dampf ihre heißesten Teilchen abgibt.
Die für das Experiment benötigte Maschine haben die Innsbrucker Forscher:innen großteils selbst entwickelt, da es viele der erforderlichen Geräte nicht zu kaufen gibt. Beim Aufbau des Experiments und der Arbeit im Labor sehen sich die beteiligten Wissenschaftler:innen daher oft mit Problemstellungen konfrontiert, für die es kreative Lösungen zu finden gilt – „Thinking outside the box“ wird hier postuliert und die Physiker:innen müssen sich oftmals Kenntnisse aus gänzlich anderen Fachbereichen wie Elektronik, Optik oder den Materialwissenschaften aneignen. So erzählt mir Marian Kreyer während unseres Interviews, wie er ein Metallteil fräsen musste, weil dieses in spezieller Größe und Form benötigt wurde – „es ist ein bisschen wie Lego spielen“ – und führt aus, was er an seiner Arbeit besonders schätzt: „Die Quantenphysik ist sehr faszinierend, viele Phänomene sind sehr kontraintuitiv und exotisch. Für mich war das Basteln im Labor immer sehr interessant, man arbeitet viel mit sehr hochentwickelten und spezialisierten Geräten und die Problemstellungen erfordern innovative Ansätze.“
Das Experiment wird seit mehr als sechs Jahren aufgebaut und laufend erweitert, ist also sehr komplex, und da alle einzelnen Bereiche perfekt aufeinander abgestimmt sein müssen, erfordert es auch viele Wartungs- und Kalibrierungsarbeiten. Funktioniert alles zur Zufriedenheit der Physiker:innen, kann mit der eigentlichen Messung begonnen werden. Die Bedienung des Experiments erfolgt über Computerprogramme, ebenso wie die nachfolgende Auswertung der Daten.
Eine letzte Sache interessiert mich noch: Sind die Experimente eigentlich gefährlich?
Nicht im großen Maßstab, meint Marian Kreyer und erklärt, dass im Labor zwar teilweise mit Starkstrom gearbeitet wird und manche der Laser so stark sind, dass damit Metall geschnitten werden könnte, allerdings keine große Gefahr bestehe, wenn die üblichen Schutzmaßnahmen wie z. B. das Tragen einer Laserschutzbrille eingehalten werden. Ich bin beruhigt und freue mich, zum Ende des Artikels noch auf ein interessantes Video verlinken zu dürfen, in dem die Arbeit im Labor der Experimentalphysik gezeigt und beschrieben wird:
Weiterführende Links:
Die Arbeitsgruppe an der Universität Innsbruck
Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW
Publikationen:
C. Ravensbergen/E. Soave/V. Corre/M. Kreyer/B. Huang/E. Kirilov/R. Grimm, Resonantly Interacting Fermi-Fermi Mixture of 161Dy and 40K
Liste der gesamten Publikationen der Arbeitsgruppe