von Simon Schöpf
Lesedauer: 6 min.
Wir haben uns mit Manfred Kienpointner vom Institut für Sprachwissenschaften getroffen und wollten ihn über das Projekt „Vorschläge zur Verbesserung der Verständlichkeit der Gerichtssprache“ interviewen. Daraus entwickelte sich ein Gespräch über die Sprachwissenschaften an sich, ihre Methoden, das Sprachensterben, die Gemeinsamkeiten aller Sprachen auf der Erde, bis hin zu den Themen politische Rhetorik, Sprachtelefon und Wissenschaft aus dem „Elfenbeinturm“ hinaustragen. Alles konnten wir in diesem Artikel leider nicht unterbringen, aber wir versuchen uns an einer Zusammenfassung und vielleicht kommt demnächst noch ein weiterer Artikel über die Sprachwissenschaften. 😉
Was machen Linguisten und Linguistinnen eigentlich? Und was hat das mit Tischen zu tun?
Die Sprachwissenschaften grenzen sich zu den anderen Instituten an unserer Uni, wie Anglistik oder Romanistik, durch den vergleichenden Standpunkt ab. Es wird versucht die ca. 7000 Sprachen, die es auf der Erde noch gibt, miteinander zu vergleichen. Entstanden ist die Wissenschaft im 19. Jahrhundert, mit dem Versuch die indogermanische Grundsprache zu finden und zu rekonstruieren. Des Weiteren gibt es die kontrastive Linguistik bzw. Grammatik, bei welcher zwei oder drei lebende Sprachen auf ihre Lautlehre, Formenlehre, Syntax, Semantik und Wortschatz verglichen werden. Auch wird versucht die verschiedenen Sprachen bestimmten Typen zuzuordnen. Kienpointner hält dazu fest: „Eine der Grundfragen der Sprachwissenschaft ist, das zu finden, was allen Sprachen gemeinsam ist. Die sogenannten Universalien.“ So haben alle bisher untersuchten Sprachen Vokale und Konsonanten. Georgisch ist zum Beispiel eine sehr konsonantenreiche Sprache. „Trainer“ auf Georgisch heißt მწვრთნელი und wird in etwa „mts’vrtneli“ ausgesprochen, also mit acht Konsonanten und zwei Vokalen. Wie in fast allen Wissenschaften gibt es methodisch verschiedene Ansätze. Dazu gehören u.a. die „Introspektion“ und „Korpuslinguistik“. Hierbei befragen Native Speakers sich selbst zu Begriffen und versuchen das Wesentliche daraus zu abstrahieren. Als einfaches Beispiel: Tische. Tische haben verschiedenförmige Platten und unterschiedlich viele Beine für die Stabilität. Farbe und Form sowie Material der Tischplatte und Tischbeine sind nicht relevant für die Grundbedeutung von „Tisch“, aber einen Tisch ohne Tischplatte oder Tischbeine kann man sich schlecht vorstellen. Versucht man dies mit den Begriffen „Bedeutung“ oder „Freiheit“, wird es aber sehr schnell sehr abstrakt. Hier kann die Untersuchung von Datensammlungen (Korpora) weiterhelfen. Die Korpuslinguistik ist mittlerweile eine computergestützte Methode, bei der zu untersuchende Begriffe mit ihren zugehörigen Attributen in Datenbanken gesammelt und analysiert werden. Als einfaches Beispiel aus dem Englischen: Die Wörter „liberty und „freedom“ unterscheiden sich, wie Korpus-Untersuchungen zeigen, unter anderem dadurch, dass bei „liberty“ eher von „liberty to something“ („positive Freiheit zu etwas“) gesprochen wird, wohingegen bei „freedom“ die Varianten „freedom to …“ („positive Freiheit“) und „freedom from…“ („negative Freiheit von etwas“) ziemlich indifferent sind.“
Kontrastive Grammatik
Manfred Kienpointners Hauptbetätigungsfeld ist die kontrastive Grammatik. Dabei werden zwei oder mehrere Sprachen miteinander verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erfassen. Kienpointner verfasste die erste kontrastive Grammatik für Latein und Deutsch und arbeitet gerade mit Helmut Weinberger (Institut für Slawistik) an einer vergleichenden Grammatik Türkisch-Deutsch. Im Moment lernt der Linguist Türkisch und versucht die Sprache auch in seinen Alltag zu integrieren. Beispielsweise bei seinem Friseur, da ihm die Anwendung der Sprache ein wichtiges Anliegen ist.
„Es zarrt einen owi“
Neben seiner Tätigkeit im Feld der kontrastiven Grammatik befasst er sich auch mit politischer Rhetorik aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Dazu gehört die „schwarze Rhetorik“, also eine Auseinandersetzung mit der Rhetorik in der Zeit des Nationalsozialismus. Daneben gibt es aber auch die „weiße Rhetorik“ – Freiheitsreden von Malala Yousafzai und anderen, die humanitäre Ideale vertreten und für politische, demokratische Freiheiten eintreten. In letzter Zeit hat der Linguist aber nahezu aufgehört, sich mit schlechten politischen Reden, wie z.B. jenen von Donald Trump, auseinanderzusetzen. Im Dialekt gesagt: „Es zarrt einen owi…“
Von Cicero bis Friedrich dem Großen: Keiner mag juristische Texte
Bei einem privaten Treffen kamen Wigbert Zimmermann vom Oberlandesgericht und Manfred Kienpointner ins Gespräch und daraus entwickelte sich ein Dissertationsprojekt, an dem Linda Prossliner gerade arbeitet: „Juristen-Deutsch“ in „normales Deutsch“ zu übersetzen. Dabei wurden die Rechtstexte linguistisch analysiert und Verbesserungsvorschläge gemacht. Dazu hält Kienpointner aber fest: „Es kann nicht darum gehen, die Rechtssprache zu einer Sprache zu machen, die so einfach zugänglich ist wie die Alltagssprache. Das ist unmöglich und es wäre unseriös, so etwas zu behaupten.“ Das Problem von schwer verständlicher Rechtssprache ist dabei nicht neu. Bereits Cicero und Friedrich der Große klagten über die unverständlichen Rechtstexte ihrer zeitgenössischen Juristen.
Das große Sprachensterben und der „Elfenbeinturm“
Pessimistische Sprachwissenschaftler*innen gehen davon aus, dass im Laufe des 21. Jahrhunderts 90% der derzeit ca. 7000 bekannten Sprachen aussterben werden. Damit würden tausende Kulturen und Weltansichten für immer verschwinden. Englisch spielt dabei als sogenannte „Killer Language“ eine große Rolle. Um dies und vieles mehr einer breiten Masse bewusst zu machen und Wissenschaft vom „Elfenbeinturm Uni“ in die Gesellschaft zu tragen, hat Manfred Kienpointner sich einiges einfallen lassen. Er tritt bei Science Slams auf, entwickelte das Innsbrucker Sprachtelefon (siehe Link), war bei der Gründung des „Philosophischen Cafés“ dabei und hat mit uns ein Interview geführt, damit ihr jetzt auch mehr über die Sprachwissenschaften und ihre Forschung an unserer Uni Bescheid wisst.
Hier findet ihr den Science Slam von Manfred Kienpointner und weiterführende Links:
https://www.diezeitlos.at/2019/11/von-schlaegereien-ohnmacht-und-einem-thermomix/