von Eva Hupfer
Lesedauer: ca. 5 min
Wusstest du, dass Physiotherapeutinnen und -therapeuten auch forschen, Studien designen und diese dann veröffentlichen? Wusstest du, dass Physios weiter studieren können, bis sie einen Doktor- beziehungsweise einen PhD-Titel erlangt haben? Wusstest du außerdem, dass es bei der neurologischen Erkrankung Multiple Sklerose viele verschiedene Therapiemöglichkeiten gibt und jetzt auch untersucht wird, inwiefern Musik dabei unterstützend wirken kann?
Nein? Dann lies unbedingt den folgenden Artikel. Eva Hupfer und Tobias Jakober im Gespräch mit der Physiotherapeutin und Forscherin Dr. Barbara Seebacher, MSc.
Barbara Seebacher ist eine von wenigen Physiotherapeutinnen, die auch in der Forschung tätig sind. Denn obwohl es um Forschungsfragen geht, die Physiotherapie betreffen, sind es meist Ärztinnen und Ärzte, die hinter den Studien stehen.
Ein aktuelles Projekt von Dr. Seebacher, MSc. beschäftigt sich mit Personen, die an Multipler Sklerose (MS) erkrankt sind. Sie untersucht gemeinsam mit ihrem Team, inwiefern ein Musik-unterstütztes Training einen Einfluss auf verschiedenste Parameter bei MS-Patient*innen hat. Es ist ja bereits bekannt, dass Musik auf uns eine ganz besondere Wirkung hat, wie beispielsweise auf unsere Stimmung oder auch auf die Ausdauer von Läufer*innen oder die Beweglichkeit von Parkinson-Erkrankten, die mit rhythmischer Musik Momente des sogenannten Freezings, also „Einfrierens“ der Bewegung, leichter überwinden können. „Ich habe total positive Powermusik ausgewählt. Das gefällt den Leuten auch! Ich finde das einfach cool, wenn Patienten abgehen und sich nicht mehr auf das Negative konzentrieren“, sagt Dr. Seebacher mit einem Lächeln auf den Lippen.
In der aktuellen Studie wurden die Proband*innen in drei unterschiedliche Gruppen eingeteilt, damit sie später miteinander verglichen werden können.
Mit den Teilnehmer*innen der ersten Gruppe wird neben physiotherapeutischem Gangtraining auch sogenanntes Motor Imagery Training in Kombination mit Musik gemacht. Die zweite Gruppe erhält nur Motor Imagery Training mit Musik und die Patient*innen in der dritten Gruppe erhalten ausschließlich Gangtraining mit Musik. Motor Imagery Training ist eine Art von mentalem Training, bei dem daran gearbeitet wird, sich Bewegungen vorzustellen und sie dadurch im Gehirn bereits anzubahnen.
Das Praktische ist – insbesondere in Zeiten einer Pandemie, wo ein Reha-Aufenthalt oftmals schwieriger zu realisieren ist, dass einfach von zuhause aus trainiert und geübt werden kann. Alle Bewegungsaufträge, die Musik, die Übungen und alles was notwendig ist, ist auf einem Audiomix aufgenommen, den die Proband*innen mit nach Hause bekommen. Dadurch sind sie auch frei, an sich zu arbeiten, wann und wo es für sie am besten passt: „Der Punkt ist beim Gangtraining auch, rauszugehen und nicht einfach nur im Wohnzimmer auf- und abzuspazieren.“ Wichtig ist, dass vier Mal pro Woche für 30 Minuten trainiert wird.
Doch was und wie wird eigentlich eine Veränderung gemessen beziehungsweise festgestellt? Dafür werden Bewegungstests und auch Fragebögen herangezogen, die verschiedene Bereiche abdecken. Untersucht wird nicht nur das Gehen, sondern auch Parameter zu Depressionen, dem MS-typischen Fatigue-Syndrom die Lebensqualität, Häufigkeit von Stürzen, Selbstwirksamkeit und vieles mehr.
Was Barbara Seebacher allen Betroffenen und Angehörigen noch mitgeben möchte: „Ganz ganz wichtig ist, dass man dranbleibt! Selbst wenn man in einem fortgeschrittenen Stadium von MS ist, ist immer noch alles drinnen. Ich möchte eine positive Botschaft übermitteln, da ich wirklich davon überzeugt bin, dass eine positive Einstellung ganz viel ausmacht und nicht nur die [Einstellung] von den Patient*innen, sondern auch jene von Angehörigen. Das ist mir ein besonderes Anliegen!”
Multiple Sklerose – Was ist das? Vor wenigen Jahren bekam die neurologische Erkrankung ALS durch die „Ice Bucket Challenge“ sehr große Aufmerksamkeit in den Medien. MS hat diese Aufmerksamkeit bisher (noch) nicht erlangt, tritt jedoch viel häufiger auf als ALS. MS ist sogar die häufigste neurologische Erkrankung junger Erwachsener. Es handelt sich dabei um eine Erkrankung, die das Zentrale Nervensystem (ZNS) betrifft – also das Gehirn und das Rückenmark. Durch entzündliche Prozesse im ZNS, geht nach und nach die äußerste „Isolierschicht“ der Nerven zu Grunde, wodurch die unterschiedlichsten Beschwerden entstehen können, wie zum Beispiel Koordinationsprobleme, Sehbeschwerden, Schwindel, Lähmungserscheinungen usw.
Addendum: Als Forschungsstätte fungiert für diese Studie das REHA Zentrum Münster.