Montag, Dezember 30

Über Fotografie und ihre Funktionen

von Katharina Egger
Lesedauer: 6 min

1830 patentierte Louis Jacquez Mandé Daguerre die Fotografie, da brauchte er für die Belichtung dieser noch geschlagene zehn Minuten. Zehn Jahre später benötigt man dafür nur noch ein paar Sekunden. Seit den Anfängen bis heute ist die Fotografie ein ständiges Experimentierfeld. Dauerhaft wird sie technisch weiterentwickelt, verbessert und perfektioniert, um das Gesehene möglichst naturgetreu abzubilden. Es gibt kaum eine längere Zeitperiode, in der die Entwicklung der Fotografie einen technischen Stillstand aufweisen würde. Univ.-Prof. Dr. Martina Baleva fasst für Makademia in einem Interview die Veränderung der Fotografie sowie ihre Geschichte zusammen. Denn selbst heute noch übt die Fotografie einen großen Einfluss auf unser Leben aus, unter anderem in der Form von Bildern von Politiker*innen, aber auch von Krankheitserregern.

Geschichte der Fotografie

Am Beginn ihrer Karriere in den 1840er Jahren waren Fotografien noch etwas Besonderes. Das änderte sich jedoch schnell und gehörte bald zum Alltag. Eine Fotografie kommt nie allein auf die Welt, so hat es Jens Ruchatz auf den Punkt gebracht. Sie ist immer in Mehrzahl, immer in einer Serie zu denken und das ist auch das eigentliche Wesen der Fotografie: Sie kann vervielfältigt werden.

Am Anfang der Geschichtsschreibung der Fotografie steht vor allem die Technikgeschichte: Es wurde danach gefragt, wie etwas technisch funktioniert, welche Materialien benötigt werden und wer sich damit beschäftigt. Erst im 20. Jahrhundert entwickelte sich die Fotografiegeschichte zu einer „Geschichte der Fotografie als Dokument“. Im Gegensatz zu einem gemalten oder gezeichneten Bild wird einer Fotografie eine gewisse „Wahrhaftigkeit“ zugesprochen und das, was sie zeigt, ist unumstritten, unhintergehbar und kann nicht angezweifelt werden. Was auf einer Fotografie abgebildet ist, muss sich demnach auch in der Realität abgespielt haben.

Eine wichtige Veränderung der Fotografie ist die Farbe. Bis in die späten 90er Jahren des 19. Jahrhunderts sind nur schwarz-weiß-Fotografien möglich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ändert sich dies: 

„Die Fotografien werden zunehmend bunter und das verändert natürlich auch unser Verständnis der Geschichte. Denn Fotografie prägt unsere Vorstellung von einer bestimmten Zeit“, beschreibt Martina Baleva.

Ein großer Sprung für die Fotografie ist das Aufkommen der digitalen Kameras in den späten 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Schon Anfang der 2000er werden digitale Fotografien salonfähig und mit dem Aufkommen von Smartphones ist es nicht einmal mehr notwendig, eine Kamera bei sich zu tragen. Es braucht kein Equipment mehr, das Smartphone ist immer dabei und immer griffbereit.

Fotografie: Zwischen „eigener Realität“ und Abbildung der Geschichte

In der Forschung wurde festgestellt, dass Fotografien eine „eigene Realität“ bilden und ein „ganz bestimmtes Bild von Geschichte“ vermitteln. Die Frage, wer denn überhaupt eine Fotografie macht, rückte mehr in den Vordergrund und auch der Zweck der Bilder. Die Forscher*innen begannen sich also auch mit dem Autor oder der Autorin einer Fotografie zu beschäftigen und den sozialen und kulturellen Hintergrund von Fotografie zu erforschen. 

Bedeutend ist die Fotografie auch beim Fotografieren von Krieg und Kampf. Der mexikanisch-amerikanische Krieg (1846–1848) gilt als der erste Krieg, der mit Fotografien dokumentiert wurde, der Krimkrieg von 1853 bis 1856 wurde fast schon vollständig „durchfotografiert“.

Auch der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 wurde fotografisch festgehalten. In ihrem Aufsatz „Menschen in der Reihe. Ein visueller Topos des Umbruchs“, beschäftigte sich Martina Baleva mit einem Foto von Menschen, die in einer langen Schlange für Brot und Milch anstehen, weil diese nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 Mangelware waren. „Interessanterweise war das auch zu Beginn der Pandemie 2020 nicht ganz anders. Da gab es viele Ähnlichkeiten zu den Zeiten des politischen Umbruchs in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts“, so Martina Baleva.

Wegwerfprodukt Fotografie?

Durch den Einsatz digitaler Fotografie und Smartphones erhöht sich die Menge an Bildern, die wir täglich produzieren, rasant. Im Vergleich zu den Anfängen der Fotografie oder auch nur den Anfängen der Digitalisierungsphase der Fotografie ist diese Masse an Fotografien inzwischen zu einem „Wegwerfprodukt“ geworden. Die Milliarden an Bildern, die jeden Tag produziert werden, haben nur noch eine kurze Gültigkeit von wenigen Sekunden und nachdem man ein Bild zum Beispiel auf einer Social-Media-Plattform gepostet hat, muss schon das nächste Bild her.

Martina Baleva erwähnt dabei auch die damit einhergehenden gesellschaftlichen Auswirkungen: „Das sehen wir gerade an der Debatte um Fake News, Deepfakes, etc., die durch die technische Entwicklung und die Art und Weise, wie wir heute fotografieren, möglich geworden sind. Wenn wir uns mit der Technik der Fotografie beschäftigen, müssen wir uns auch mit den gesellschaftlichen Auswirkungen dieser technischen Möglichkeiten auseinandersetzen.“

Vielfältige Fotografie

Die Fotografieforschung untersucht also zusammengefasst ganz verschiedene Aspekte des Bildermachens. Die Bandbreite von Fotografien, fotografischen Techniken und Motiven zeigt sich zum Beispiel in der fotografischen Sammlung von Peter und Ruth Herzog aus Basel, die etwa eine halbe Millionen Fotografien umfasst und mit der sich Martina Baleva ebenfalls beschäftigte. Diese Fotosammlung, zusammengetragen von 1970 bis heute, umfasst analoge Fotografien aus der gesamten Geschichte der Fotografie. Aus dieser Sammlung wird auch erkenntlich, dass Fotografien in allen möglichen Bereichen entstanden sind, zum Beispiel Röntgenbilder, mitunter die frühesten medizinischen Bilder. Aber schon vor der Entdeckung der Röntgenstrahlen hat man im Bereich der Medizin fotografiert und auch zum Beispiel im Bereich der Bildung oder Militärs.

Bis zum Iconic-Turn – der Ikonischen Wende – in den 1990er Jahren, ausgerufen durch Kunsthistoriker, wurde Bildern außerhalb der Kunstgeschichte kein eigener Wert zugesprochen. Bilder, auch Fotografien wurden – zum Teil bis heute – als schmückendes Beiwerk oder Illustrationen von Studien benutzt. Erst durch die Ikonische Wende wurde klar, dass auch Bilder eine ganz eigene Macht und Kraft besitzen: über die Vorstellung von Geschichte, Medizin, Bildung, Militär und anderen Lebensbereichen, wie Krieg.

Martina Baleva sagt dazu: „In allen möglich erdenklichen Lebensbereichen sind Fotografien angefertigt worden, bis hin zur intimsten Privatsphäre. […] Wir betrachten Fotografien nicht mehr einfach als passive Aufzeichnungsmedien, sondern als aktive Gestalter von Geschichte und von Gesellschaft.“

„Bilder lassen sich gestalten, je nachdem, wie wir es haben wollen.“

Heute schenkt man auch in den Naturwissenschaften Bildern neue Aufmerksamkeit und analysiert diese. Dabei ist immer wichtig, sich die Frage zu stellen, wer Bilder anfertigt und mit welchen Absichten und kulturellen Prägungen. Ein Beispiel dafür sind Bilder eines Virus. Fotografien des Coronavirus, die unter dem Mikroskop entstanden, sind unattraktiv und unscheinbar. Dafür gibt es Designer-Studios, die ganz speziell im Dienste der Naturwissenschaften arbeiten – etwa der Mikrobiologie – und die anhand dieser unscheinbaren Fotografien von Viren hübsche, ansehnliche Bilder vor allem für die Medien anfertigen. Diese dienen der Kommunikation mit der Gesellschaft, der breiten Öffentlichkeit. So dienen Bilder von Viren immer einem bestimmten Zweck. Das unterstreicht auch Martina Baleva:

„Es gibt keine Fotografien, die einfach so in die Welt kommen. Es gibt immer auch eine Absicht dahinter.“

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©Pixabay: Fotos, wie dieses, werden im Dienste der Naturwissenschaften extra in eigenen Design Studios erstellt und von den Medien verwendet, um dem Virus eine Gestalt zu geben.

Im Falle des Coronavirus wurde die Absicht verfolgt, mit der Gesellschaft zu kommunizieren und bestimmte Inhalte aus der Forschung der Öffentlichkeit zu übermitteln. Dabei sollte nicht davon ausgegangen werden, dass Fotografien manipulativ seien. Heute wirft man Bildern vor, dass sie sich manipulieren lassen. Durch die Digitalisierung, die sozialen Medien und simplen Bildbearbeitungsapps ist es jedem möglich, ein Bild zu verändern. Die Geschichte der „Manipulation“, des Retuschierens, des Verschönerns von Fotografien ist aber genauso alt wie die Fotografie selbst. Schon auf Glasnegativen hat man Fotografien „manipulieren“ können.

„Man sollte der Fotografie auch nicht unbedingt diese Wahrheit zusprechen, die wir uns immer von ihr versprechen oder die wir ihr zutragen“, so Martina Baleva.

Fotografien sind aber nicht per se „lügenhaft“ oder „falsch“, sondern sie lassen sich auch immer bearbeiten. Mit dem Wort „Manipulation“ wird die Assoziation verbunden, dass Bilder jemanden anlügen möchten und bearbeitete Fotografien hätten demnach auch diese Funktion. Aber die Kamera an sich als Apparat ist neutral und sie fotografiert alles, was vor der Linse steht, ob man es will oder nicht. Auch Motive oder Aspekte, die man nicht im Bild haben will. Und diese werden dann verbessert. Je nachdem, welchem Zweck die Fotografie dienen soll, wird diese auch so bearbeitet, auch ohne tatsächlich manipulieren zu wollen.

Inszenierung in der Politik: Vor Pulten, neben Fahnen oder mit zeitgenössischer Kunst

Bilder von Politiker*innen sind, wenn diese von ihren ‚Hof-Fotograf*innen’ stammen, immer sorgfältig inszeniert. Diese Fotografien werden von den Politikern und Politikerinnen selbst freigegeben und sind demnach immer sehr sorgsam durchkomponiert und durchdacht. Das Image eines Politikers oder einer Politikerin ist immer bewusst hergestellt: ein Image, das dann auch auf den Wahlplakaten, in Zeitungen oder in anderen Medien zu sehen ist. Selbst die Umgebung oder der Hintergrund, vor dem sich Politiker*innen fotografieren lassen, ist sorgsam ausgesucht und bewusst gewählt, meist hängt dort dann ein Gemälde.

Deutsche Politiker*innen etwa bevorzugen zeitgenössische Kunst hinter sich. Das hängt sicherlich auch mit der deutschen Geschichte zusammen und signalisiert dem Publikum eine zeitgemäße Haltung. In den USA oder in Großbritannien wird stattdessen bevorzugt, sich vor einem altgediegenen, ehrwürdigen Bild aus der Gründungsgeschichte der Nation zu präsentieren.

Auch die Position vor Fahnen oder einem Pult, was darauf steht bis hin zur Kleidung wird dabei immer sorgsam beachtet und durch diese Inszenierung wird auch immer eine bestimmte Botschaft mittransportiert. „Sehr schön zu sehen ist das bei der Inszenierung Angela Merkels. Sie trägt immer einen einfarbigen Blaser. Dabei darf sich die Garderobe nicht wiederholen, aber sie darf auch nicht allzu große Unterschiede aufweisen. Das sind sehr sorgsam durchdachte visuelle Konzepte“, sagt Martina Baleva.
Egal ob im Fernseher, in der Zeitung, Internet oder von Wahlplakaten aus – Fotografien von Politikern und Politikerinnen sind immer sehr klar durchdacht und eindeutig konzipiert mit einer bestimmten Botschaft, die gedeutet werden will – bewusst oder unterbewusst.

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