von Sarah Huemer |
Rupert Sendlhofer, Professor für Volkswirtschaftslehre, hat mit „Makademia“ über Staatsverschuldung in Pandemiezeiten gesprochen.
7 Milliarden Euro. Weitere 15 Milliarden Euro. 80 Prozent Umsatzersatz für Gastronomie, später auch für den Handel. Im Laufe der Pandemie sind die Hilfspakete und Unterstützungszahlungen der Republik Österreich kontinuierlich gestiegen. „Koste es, was es wolle“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz einst. Mit dieser Maxime hangeln sich Österreich und viele andere Staaten von Lockdown zu Lockdown. Doch was bedeutet Staatsverschuldung eigentlich? (Wie) zahlt man diese enormen Summen zurück? Und kann ein Bankrott drohen?
Ein Budgetdefizit entsteht, wenn die staatlichen Ausgaben die Einnahmen übersteigen. So sind etwa in der Pandemie durch den Wirtschaftseinbruch die Steuereinnahmen beträchtlich zurückgegangen, parallel dazu die Ausgaben im Gesundheitsbereich und Hilfszahlungen enorm gestiegen. Zusätzlich ist die Zahl der Arbeitslosen gewachsen, somit auch die Ausgaben für Sozialleistungen. Gleichzeitig sind aufgrund der geringeren Beschäftigung die Einnahmen durch Sozialversicherungsbeiträge gesunken. „Dadurch macht sich in einer Rezession eine Schere auf“, so Rupert Sendlhofer, Professor für Volkswirtschaftslehre am Institut für Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck. Im Jahr 2020 belief sich das Budgetdefizit in Österreich auf 36 Milliarden Euro. Theoretisch haben Staaten mehrere Möglichkeiten, diese Diskrepanz auszugleichen. Zusätzliche Steuern sind eine Option – wobei diese in einer Rezession kontraproduktiv wären und ohnehin nicht ausreichend finanzielle Mittel liefern könnten. Bleibt noch die Staatsverschuldung: Auf Kapitalmärkten leiht der Staat Geld von Investoren, wie etwa Pensionsfonds, Banken und Versicherungen, um seine Ausgaben zu finanzieren – auch Staatsanleihen genannt. „Wenn das über einen langen Zeitraum passiert, sammelt sich ein Schuldenstand an – der Staatsschuldenstand. Dieser ist die Summe aller Defizite der vergangenen Perioden“, so Sendlhofer. Um internationale Vergleichbarkeit zu ermöglichen, wird der Schuldenstand ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gesetzt. Für Österreich beträgt der Schuldenstand 317 Milliarden Euro, dadurch ergibt sich eine Schuldenquote von 84 Prozent (2019: 70,5 Prozent). Ziel der Staatsverschuldung ist es, antizyklisch gegenzusteuern und in einer Rezession die Wirtschaft anzukurbeln. Dadurch soll der Einbruch abgemildert werden. „Wenn es wieder besser geht, in einer Boom-Phase, lässt sich ein Überschuss erwirtschaften“, so Sendlhofer.
Für Bürger ist die Höhe dieses Schuldenstands schier unvorstellbar. Wer das alles zurückbezahlen soll, stellt sich für viele die Frage. Eines vorweg: Die österreichischen Bürger müssen keine 317 Milliarden Euro aus ihren Geldtaschen kramen, um die staatliche Verschuldung zu finanzieren. Der Staat muss zwar seine Schulden zurückzahlen, finanziert diese Tilgung der Schulden jedoch meist mit neuen Schulden. „Staaten sind letztlich Dauerschuldner“, so Sendlhofer. „Er muss zwar seine Schulden zurückzahlen, aber er tut das nicht wie ein privater Haushalt. Es ist davon auszugehen, dass unsere Staaten auch in der Zukunft hohe Schulden haben werden. Es wird nicht so sein, dass die Republik Österreich in 10 oder 20 Jahren ohne Schulden dasteht.“ Problematisch wird dieser Schuldenstand erst dann, wenn die Aufnahme neuer Schulden teurer wird. Die derzeitigen Konditionen ermöglichen es dem Staat, günstig Geld zu leihen – so günstig, dass die Rendite für Kreditgeber negativ ist. So sind etwa. Lebensversicherungen gesetzlich dazu verpflichtet, einen gewissen Anteil ihrer Wertpapiere in sicheren Staatsanleihen zu investieren. Die negativen Renditen müssen sie somit akzeptieren. „Das Problem ist, dass wir heute nicht wissen, wie die Konditionen, zu denen wir uns in Zukunft zur Tilgung der alten Schulden erneut verschulden, aussehen. Wenn die Zinsen dann etwa wieder höher sind, haben wir plötzlich eine sehr hohe Belastung. Das ist ein Risiko, das die Staaten eingehen.“ Politiker beschäftige dieser Fakt nur wenig – schließlich erfolge die Tilgung der Schulden, die sie als Regierungsmitglieder heute aufnehmen, in 10 oder 20 Jahren. In Relation zum fünfjährigen Wahlzyklus noch eine halbe Ewigkeit. „Das entscheidet sicher nicht über ihren Wahlerfolg. So besteht die Gefahr, dass ein Problem in die Zukunft verschoben wird“, so Sendlhofer. Dennoch gibt es keine Alternative zur derzeitigen Staatsverschuldung. „Es ist sinnvoll, dass jene Maßnahmen, die wir wegen der Pandemie tätigen müssen, auch mit Staatsschulden finanziert werden“.
Entwicklungsländer sind – wenig überraschend – häufiger von Schuldenkrisen betroffen. „Das hängt aber nicht mit der Staatsverschuldung an sich zusammen, sondern mehr mit den Rahmenbedingungen“, so Sendlhofer. So habe Japan zwar eine Schuldenquote von 266 Prozent und ist damit globaler Spitzenreiter – für Japan ist das aber weniger problematisch als die hohe Verschuldung einiger Entwicklungsländer, wie etwa Eritrea oder dem Sudan. Denn für letztere gelten andere Rahmenbedingungen. So haben Entwicklungsländer meist kein ertragreiches Steuersystem. Zwar können auch Entwicklungsländer ihre Schulden mit weiteren Schulden refinanzieren. Die Zinsen für die Schulden müssen sie aber dennoch zahlen – und diese sind meist höher als jene für Industrienationen. Dafür braucht der Staat genug Steuereinnahmen. Auch die hohe politische Instabilität und die damit verbundene Unsicherheit, ob Schulden tatsächlich zurückgezahlt werden, sind Faktoren, die die Staatsverschuldung in Entwicklungsländern erschweren. Ein weiterer Grund ist, dass die Kreditgeber oft aus dem Ausland stammen. In Österreich sind die meisten Gläubiger selbst aus Österreich, dadurch ergeben sich inländische Schulden. „Es ist quasi eine Umverteilung innerhalb des Landes“, so Sendlhofer. „In Entwicklungsländern hingegen gibt es oft keine entwickelten Finanzmärkte und auch nicht so viele Menschen, die Staatsanleihen kaufen können. So werden Entwicklungsländer bei der Staatsverschuldung schnell abhängig vom Ausland.“ Das mache sich oft auch in höheren Zinsen bemerkbar, wenn ausländische Gläubiger weniger Vertrauen in den Staat haben. „Es geht viel – wie so oft auf Kreditmärkten – um Vertrauen. Solange ich dem Kreditnehmer vertraue, dass er mir die Schulden zurückzahlt, spricht auch nichts gegen 200 Prozent Staatsverschuldung. Wenn jedoch ein Land 30 Prozent Verschuldung hat und man meint, dieses Land kann seine Schulden nicht tilgen, dann wird es am Kreditmarkt nichts mehr bekommen“, so Sendlhofer. Japan hingegen hatte bis dato mit seiner Verschuldung von 266 Prozent keine Probleme – dem Vertrauen der Gläubiger sei Dank.